In der Partei DIE LINKE mehrt sich die Kritik an der Haltung des Vorstands zum Aufstand für Frieden. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Susanne Ferschl hat mit den Sprechern der BAG Betrieb & Gewerkschaft, Ulrike Eifler und Jan Richter, im Portal Die Freiheitsliebe eine scharfe Kritik verfasst.

Von Ulrike Eifler, Susanne Ferschl und Jan Richter

Als Vertreter des Gewerkschaftsflügels in der Partei DIE LINKE ist unsere Expertise vorrangig in der Tarif-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gefragt. Außenpolitische Entwicklungen gelten eher selten als Schwerpunkte von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern. Dabei ist das Eintreten für den Frieden urgewerkschaftliche Verpflichtung.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und der Machtlosigkeit von Gewerkschaften in Zeiten des Krieges. Auch deshalb verkörpern die Gewerkschaften den Gedanken der Einheit wie keine andere Organisation, weil parteipolitischer Streit und Uneinigkeit die Arbeiterbewegung 1933 in eine historische Niederlage geführt hatten. Die aktuelle Vielfachkrise macht zudem deutlich, wie sehr die Kämpfe um Umverteilung, gegen den Klimakollaps und die neue Kriegsbarbarei zusammengehören. Dabei zeigt die vielfach bellizistisch geprägte, mediale Berichterstattung, dass vermutlich nur der Druck einer starken Friedensbewegung die Bundesregierung zu einer anderen außenpolitischen Schwerpunktsetzung bewegen kann.

Unsere Partei, DIE LINKE, sucht ihren Platz in dieser komplexen gesellschaftlichen Krisensituation. Doch wer sein Schiff sicher durch gesellschaftliche Stürme navigieren möchte, muss die Richtung kennen, den Kahn seetüchtig halten und verhindern, dass die Mannschaft über Bord geht. Als Gewerkschafter in der LINKEN plädieren wir dafür, die kollektive Klugheit in der Partei nicht aufs Spiel zu setzen, sondern mit der notwendigen Weitsicht die aktuelle Situation und die dazu gehörigen Kräfteverhältnisse zu analysieren, mit der größtmöglichen Umsicht den strategischen Streit in der Partei produktiv nach vorn aufzulösen und mit der erforderlichen Nachsicht für theoretische Schwächen die Partei dennoch handlungsfähig zu machen. Das bedeutet: DIE LINKE darf nicht pfeifend an den Spielfeldrand platziert werden, sondern muss als konstruktive Partnerin der Friedensbewegung, der Klimabewegung und der Gewerkschaften aufgestellt werden. Dazu ist es wichtig, den Krieg in der Ukraine politisch einzuordnen und darauf hinzuweisen, dass die NATO-Osterweiterung die russischen Sicherheitsinteressen beeinträchtigte. Diese Einordnung ist keinerlei Rechtfertigung für den völkerrechtswidrigen Einmarsch Putins in die Ukraine. Dieser ist ohne Wenn und Aber zu verurteilen. Der Krieg in der Ukraine ist jedoch zu einem Krieg um die Ukraine und eine geopolitische Neuordnung der Welt geworden. Letztlich zeigen die von den USA und Großbritannien torpedierten Vermittlungsversuche von Bennett Naftali und der Abschuss chinesischer Ballons: Es gibt politische Kräfte, die wollen Krieg und gegen diese muss sich eine starke Friedenbewegung formieren.

Krise, Klima, Krieg

Die durch den Krieg bedingte, anhaltend hohe Inflation verschärft den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit. Ohne ein Ende des Krieges in der Ukraine bleiben die Energiekosten anhaltend hoch und die Tarifarbeit wird erschwert. Aus mehreren Gründen haben Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter also ein Interesse an einem schnellen Ende des Krieges in der Ukraine. Wenn man von der Verkommenheit herrschender Politik einmal absieht, die Menschen gegeneinander ins Schlachtfeld schickt und schon deshalb abgelehnt werden muss, liegen diese Gründe eben auch auf verteilungspolitischer Ebene. Die Tarifpolitik in den letzten zwölf Monaten hat gezeigt, wie widersprüchlich betriebliche Umverteilungspolitik in Zeiten von Inflation und Energiekrise ist. Und selbst die sozialpolitische Rahmung, die die Bundesregierung mit Energiegeld, 9-Euro-Ticket und Energiepreisbremse versucht hat vorzunehmen, entlastet nicht zielgerichtet diejenigen, die diese Entlastung am nötigsten brauchen, sondern führt in einem scheinbaren Akt formaler Gleichbehandlung zu weiteren sozialen Schieflagen.

Aber auch auf die sozial-ökologischen Transformationsprozesse wird sich die aktuelle geopolitische Krise negativ auswirken. Schon jetzt trifft die Energiekrise in Deutschland nicht alle Regionen gleich. Das zeitliche Zusammenfallen des Kohleausstiegs, das Aus für den Verbrennungsmotor und der kriegsbedingte Abschied von russischem Pipelinegas setzen die Industrieregionen in Deutschland zunehmend unter Druck. Allein der Chemiestandort Ludwigshafen mit seiner starken und für die Düngemittelindustrie wichtigen Ammoniakproduktion verbraucht doppelt so viel Energie wie ganz Baden-Württemberg. Vor dem Hintergrund anhaltend hoher Energiekosten droht die Abwanderung der energieintensiven Industrie und damit der Verlust von Arbeitsplätzen.

Verteilungskämpfe

Hinzu kommt: Der Krieg in der Ukraine wird eine neue Konkurrenz zwischen Rüstungsausgaben und Investitionen für den klimaneutralen Umbau der Industrie schaffen und dafür notwendige finanzielle Ressourcen anderweitig binden. Damit wächst das Risiko, dass die Klimawende verschleppt wird. Der globale Risikobericht des Weltwirtschaftsforums für das Jahr 2023 prognostiziert ein Scheitern der weltweiten Klimaschutzpolitik in den nächsten zehn Jahren, wenn für die weltweite Krisendynamik kein kooperativer Bearbeitungsmodus gefunden wird.[1]

Die Konkurrenz um die Ausgaben des Sozialstaates ist bereits in vollem Gange. Das zeigen die Blockade der Kindergrundsicherung durch Christian Lindner, die immer wieder aufblitzende Debatte über ein höheres Renteneintrittsalter oder der Vorschlag des Ökonomen Lars Feld, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu erhöhen. Gleichzeitig tauchen historisch belastete Begriffe wie „Kriegswirtschaft“ in der öffentlichen Debatte auf. Die SPD hat jüngst ein Strategiepapier veröffentlicht, in dem sie den Aufbau von Rüstungskapazitäten und ein gemeinsames Bündnis von Regierung und Rüstungsindustrie diskutiert. Und der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius, der das Zwei-Prozent-Ziel der NATO lediglich als Untergrenze sieht, hat bereits deutlich gemacht, dass Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst den Spielraum für Investitionen in die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr schmälern würden.[2] Aus der Geschichte wissen wir, Kriege verengen die Spielräume für Umverteilung und drängen Gewerkschaften in Widerspruchskonstellationen. Im ersten und zweiten Weltkrieg haben die Gewerkschaften diese durch einen wirtschaftsfriedlichen Kurs (vermeintlich) gelöst und sich auf eine Kooperation von Kapital und Arbeit verpflichten lassen, was mit der Aufgabe des Acht-Stunden-Tages und der Einführung von Lohnstopps verbunden war.

Streit statt Klassenkompass

DIE LINKE steht also vor der Herausforderung, Klima-, Friedens- und Gewerkschaftsbewegung zusammenzuführen, denn die tiefgreifenden politischen Spaltungen zwischen und selbst innerhalb dieser Bewegungen verhindern, dass diese zueinanderfinden. Einmal mehr zeigt sich: Gesellschaftliche Krisensituationen stellen linke Parteien, Gewerkschaften und soziale Bewegungen vor enorme Herausforderungen. Dabei gilt: Je komplexer die Krise, desto schwieriger die eigene politische Verortung. Kein Beispiel macht die aktuelle Überforderungssituation der Partei DIE LINKE derart deutlich wie die Diskussion über das „Manifest für Frieden.“[3] Der von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiierte Aufruf zu einer großen friedenspolitischen Kundgebung hatte innerhalb einer Woche mehr als 500.000 Unterschriften. Doch mit jeder Unterschrift unter der Petition wuchs in der Partei die Verunsicherung, wie damit umzugehen sei. Während vielerorts Parteigliederungen darauf drängten, die Kundgebung zu unterstützen, fasste der Parteivorstand den Beschluss, die Partei nicht zur Teilnahme aufzurufen.

Der Grund? Statt darüber zu diskutierten, wie sie die größte friedenspolitische Initiative der letzten 20 Jahre stärken kann, richtete DIE LINKE den Blick vor allem auf sich selbst und führt einen Streit um Selbstvergewisserungen und persönliche Befindlichkeiten. Nachdem auch AfD-Chef Tino Chrupalla den Aufruf öffentlichkeitswirksam unterzeichnet hatte und dabei betonte, „im Einsatz für den Frieden sollten Parteigrenzen keine Barrieren sein“,[4] knüpfte der Parteivorstand der LINKEN die Unterstützung der Demonstration an die Bedingung, Sahra Wagenknecht müsse sich von Chrupalla und der AfD distanzieren. Dem Spiegel sagte Wagenknecht daraufhin: „…dieser Versuch, unsere Friedensinitiative zu diffamieren, ist leicht durchschaubar. Wir haben mit der Auswahl unserer Erstunterzeichner deutlich gemacht, mit wem wir zusammenarbeiten und von wem wir uns Unterstützung erhoffen – und von wem eben auch nicht“.[5] In einer außerordentlichen Sitzung des Parteivorstandes, an der zeitweise auch Wagenknecht teilnahm, wurde schließlich verabredet, dass DIE LINKE überall im Land zu Kundgebungen und Protesten anlässlich des Jahrestages des Überfalls auf die Ukraine teilnehmen soll. Ein expliziter Aufruf für die Kundgebung am Brandenburger Tor erfolgte jedoch nicht. Innerhalb der Parteigliederungen sorgte dieser Beschluss in weiten Teilen für Fassungslosigkeit.

Eine Frage der Bündnispolitik

Man kann darüber streiten, ob die Aussagen von Wagenknecht ausreichend abgrenzend waren. Man muss sogar darüber streiten, dass die Aussagen von Oskar Lafontaine, der ebenfalls zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehört, die Türen nach rechts öffnen und der AfD damit die Möglichkeit geben, sich auf einer Friedenskundgebung als Partei des Friedens zu inszenieren. Lafontaine hatte der Journalistin Milena Preradovic ein Interview über die Hintergründe des Krieges gegeben, in dem er unter anderem sagte, dass auf der Kundgebung jeder willkommen sei, der „ehrlichen Herzens“ gegen den Krieg demonstrieren möchte. Auch AfD-Mitglieder. Eine Gesinnungsprüfung würde es nicht geben, Fahnen und Transparente von AfD, Reichsbürgern und anderen rechten Gruppierungen würden allerdings nicht geduldet.[6] Lafontaines Aussage reichte, um im parteiinternen Streit einen destruktiven Gegensatz zwischen Antimilitarismus und Antirassismus aufzumachen und eine klare Positionierung zum Aufruf zu vermeiden. Für die innerparteiliche Debatte waren Lafontaines Ausführungen alles andere als hilfreich. Seine Aussagen aber als Begründung für die eigene Passivität heranzuziehen und damit als Friedenspartei im friedenspolitischen Streit die Segel zu streichen, war ein schwerer strategischer Fehler.

Anstatt sich schroff von den Initiatoren wegen der unzureichenden Distanzierung vom rechten Rand abzugrenzen, hätte DIE LINKE mit ihrer antifaschistischen Praxis solidarisch als Korrektiv aushelfen können. Eine selbstbewusste linke Partei, die weiß wo sie steht, die eine klare Einschätzung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse und eine Vorstellung von der eigenen Rolle hat, würde auf Augenhöhe mit den Initiatoren um eine deutliche Abgrenzung nach rechts streiten, ohne dabei ihre Unterstützung für den Protest in Frage zu stellen. Die Sitzung des Parteivorstandes hatte jedoch eher den Charakter eines Tribunals als einer Debatte auf Augenhöhe: Kein Argument, dass Björn Höcke von „wohltemperierter Grausamkeit“ spricht, Alexander Gauland den Faschismus als „Vogelschiss der Geschichte“ bezeichnete und diese Ausfälle wohl schwerlich als friedliebende Positionen dargestellt werden können. Kein Argument, dass man gegen die Vereinnahmungsversuche von rechts und das bürgerliche Hufeisen-Framing die Reihen schließen und sich klar nach rechts abgrenzen müsse. Stattdessen bewegte sich die Debatte des Parteivorstandes auf dem Austausch moralischer Bekenntnisse und der simplifizierenden Floskel, man dürfe den antimilitaristischen Kern der Partei nicht gegen ihren antifaschistischen ausspielen.

Schwächung der Friedensbewegung

Hinter der so geführten Debatte steckte die strategisch ungelöste Frage, wie Druck von links aufgebaut werden kann – angesichts der zunehmend eskalierenden Außenpolitik der Bundesregierung und einer inzwischen unerträglichen bellizistischen Berichterstattung, die in ihrer Einseitigkeit erschreckend an das Jahr 1914 erinnert. Der Aufruf von Schwarzer und Wagenknecht zielte darauf ab, möglichst breit für den 25. Februar zu mobilisieren. Die beiden ehemaligen Bundespräsidentenkandidaten der LINKEN, Christoph Butterwegge und Gerhard Trabert, stehen unter dem Aufruf, linke Schriftsteller wie Daniela Dahn und Christian Baron, Sozialdemokraten wie Rudolf Dressler und Günter Verheugen, die Schauspielerin Jutta Speidel und der Liedermacher Reinhard Mey, Schwergewichte der Friedensbewegung wie Reiner Braun und Michael Müller, aber eben auch der ehemalige Brigadegeneral Erich Vad und CSU-Mitglied Peter Gauweiler. Der Aufruf bewegt sich damit durchaus in der Tradition der Friedensbewegung, deren Stärke immer war, sich nicht auf linke Protagonisten zu beschränken, sondern als bürgerliche, aber antimilitaristische Bewegung eine gesellschaftliche Breite abzubilden. Bündnispolitik bedeutet nicht, sich alle Positionen der Bündnispartner zu eigen zu machen, sondern in der einen zentralen Frage die Zusammenarbeit zu suchen. 

Der Streit in der LINKEN spiegelt einerseits den gesellschaftlichen Kampf um die Deutungshoheit über den Krieg wider und zeigt andererseits, wie gering das Bewusstsein innerhalb der Partei dafür ist. Bereits 2004 gab es Versuche, die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV in die rechte Ecke zu stellen. Auch damals waren es Personen wie die Grüne Katrin Göring-Eckhardt, die eine Aktionsallianz zwischen DVU und PDS konstruierten, um der tiefgreifenden gesellschaftlichen Empörung die Spitze abzubrechen.[7] Gelungen ist das damals auch deshalb nicht, weil die Linke die Proteste nicht DVU und NPD überließ, sondern politisch und logistisch unterstützte. Heute sind es die gleichen Argumente und zum Teil sogar die gleichen Protagonisten, die die Selbstertüchtigung eines breiten Friedensprotestes verhindern wollen. Der Rückblick auf 2004 zeigt, der perfide Versuch, links und rechts gleichzusetzen, kommt aus dem bürgerlichen Lager und hat das Ziel, in der Linken Handlungsunfähigkeit herzustellen. Diesen gezielten Versuch der Spaltung kann das linke Lager nur mit Zusammenhalt parieren.

Im Unterschied zu 2004 ist die heutige Debatte in der Linken jedoch geprägt von einer weitgehenden Unterschätzung gegenüber der AfD, die sich seit einiger Zeit als Friedenspartei generiert. So wirbt Parteichef Chrupalla neuerdings mit dem Symbol der Friedenstaube. Die AfD-Bundestagsfraktion forderte eine Friedensinitiative für die Ukraine und Björn Höcke hat den Slogan der Friedensbewegung „Frieden schaffen ohne Waffen“ übernommen. Gleichzeitig zeigten die Demonstrationen gegen die Münchner Sicherheitskonferenz eine enorme Spaltung des Gegenprotestes, die sich die extreme Rechte für die eigenen Mobilisierungen zu eigen machte. Natürlich ist die AfD keine Friedenspartei. Sie befürwortet im Grundsatz die NATO, Aufrüstung und Kriege als Mittel einer anderen Politik. Ihre ungestörte Teilnahme an der Kundgebung am 25. Februar würde der Partei helfen, sich als scheinbare Kraft für den Frieden zu etablieren. Deshalb ist es so wichtig, die AfD zu isolieren und zu verhindern, dass sie nicht selbstverständlicher Teil von Friedensprotesten ist. Nicht nur die schwerfällig wirkende  Abgrenzung von Wagenknecht und Lafontaine nach rechts, sondern auch der leichtfertige Umgang des Parteivorstandes mit der Kundgebung am Brandenburger Tor, spiegeln diese weitverbreitete Unterschätzung wider.

Kampf um die Deutungshoheit

Die AfD kämpft um die Deutungshoheit in der Antikriegsfrage nicht zuletzt deshalb, weil sie kein Interesse an einer starken Friedensbewegung hat. Ebenso wenig im Übrigen wie die bürgerlichen Medien und führende Politiker aus SPD und Grünen, die die Unterzeichner des Aufrufs als „naiv“, „putinfreundlich“ und „rechtsoffen“ bezeichneten. Aber gerade deshalb und weil DIE LINKE durchaus ein Interesse an einer starken Friedensbewegung hat, darf sie sich nicht aus derartigen Mobilisierungen heraushalten, sondern muss sich solidarisch an die Seite der Friedensbewegung stellen und einzelne persönliche Befindlichkeiten hintenanstellen.

Statt den medial geschürten Eindruck, die Kundgebung könnte AfD-nah sein, durch ihr eigenes Zögern auch noch zu befördern, hätte sich die Partei an die Seite der Initiatoren stellen und gegen die Angriffe der Kriegstreiber verteidigen können. Statt das Unverständnis darüber zu äußern, die Kundgebung könne von rechts überrannt werden, hätte die Partei den Initiatoren beim Aufbau des Ordnersystems unterstützen können. Vereinnahmungsversuchen von rechts lässt sich nur durch breite Mobilisierungen entgegentreten, so dass Vertreter der extremen Rechten sich gar nicht erst trauen, dort zu erscheinen. Eine linke Partei, die widersprüchlich ist in ihren inhaltlichen Aussagen zu Krieg, Sanktionen und Waffenlieferungen und sich von großen Antikriegsdemonstrationen fernhält, überlässt so den öffentlich wahrnehmbaren Protest gegen den Krieg Parteien wie der AfD.

Bewegungen zusammenführen

Der Parteivorstandsbeschluss hat gezeigt, DIE LINKE ist in der aktuellen Auseinandersetzung um die Beendigung des Krieges nicht handlungsfähig. Hintergrund ist die tiefe Spaltung, die die Partei seit Jahren prägt und das Ergebnis von fehlenden strategischen Klärungsprozessen ist. Über diesen Streit scheint nun auch ihre politische Bündnisfähigkeit verloren gegangen zu sein. Denn neben einer programmatischen Klarheit muss es auch darum gehen, strategische Anknüpfungspunkte zu finden, um politische Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Selbstvergewisserungen allein, wonach DIE LINKE die einzige Partei sei, die in der einen oder anderen Frage diese oder jene Position vertrete, wie beispielsweise Bernd Riexinger dies in der jüngsten Ausgabe des Sozialismus argumentiert, verhelfen linken Positionen nicht zu gesellschaftlicher Breite. Programmatische Positionsbestimmung wird zur Selbstbeschäftigung, wenn sie nicht der Analyse gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse folgt und eine konkrete Bündnispolitik zum Ziel hat.

Werden Krise und Krieg nicht zusammengedacht und -bearbeitet, kann diese Situation in Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in eine politische Überforderungssituation münden, die verhindert, dass sich diese der drohenden Eskalationsspirale entgegenstellen. In einem Antrag zum Krieg in der Ukraine auf dem DGB-Bundeskongress 2022 sprachen sich die Delegierten klar gegen das Zwei-Prozent-Ziel der NATO aus. Bei der Beurteilung des 100 Milliarden Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr war die Positionierung schon schwieriger und die Beurteilung des Krieges wurde ganz ausgespart. Antikriegsdiskussionen sind gegenwärtig nirgendwo leicht zu führen – in den Gewerkschaften ebenso wenig wie in der Friedenbewegung und der Partei. DIE LINKE sollte es daher vermeiden, nur darauf zu verweisen, dass sie die einzige Partei sei, die konsequent gegen Waffenlieferungen Position bezieht, sondern Anknüpfungspunkte in der widersprüchlichen Debatte der Gewerkschaften und Bewegungen suchen, um deren friedenspolitische Positionierung zu schärfen. Nichts spricht dagegen, den Krieg, das Agieren der Bundesregierung und die friedenspolitische Selbstinszenierung der AfD moralisch zu verurteilen. Aber moralische Bewertungsmaßstäbe dürfen nicht die Analyse handelnder Akteure und gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse ersetzen. Vor allem aber muss DIE LINKE anfangen, endlich im Bewusstsein der historischen Situation zu agieren und politische Akteure zusammenzuführen. Außer ihr wird es niemand anderes tun.

Ulrike Eifler und Jan Richter sind Sprecherinnen und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft (BAG), dem offiziellen Zusammenschluss für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in der Partei DIE LINKE. Susanne Ferschl ist Vize-Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und Mitglied der BAG. Die drei sind offiziell berufene Mitglieder des Gewerkschaftsrates der Partei.

[1] https://www.weforum.org/reports/global-risks-report-2023/

[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-boris-pistorius-will-zehn-milliarden-pro-jahr-mehr-a-5bda9278-ff2d-4fdc-81be-95e5c8533659?fbclid=IwAR0aObgQnu1LLw3zZ3V1bHa1iSZ6rnLPufml5d707tErZN8v__F5eRZky7M

[3] https://www.change.org/p/manifest-für-frieden

[4] https://twitter.com/tino_chrupalla?s=43

[5] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/sahra-wagenknecht-will-afd-chef-tino-chrupalla-nicht-auf-demonstration-a-ef91bf66-bd24-4b68-b2c8-365a7ada9754?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph&fbclid=IwAR16TeXQ78TwDc34GamJO2r767jGAs3ooV9Mueou-rZuIDBEs_H0tCZDKg4

[6] https://media.publit.io/file/230215_Lafontaine.mp4

[7] https://www.bz-berlin.de/archiv-artikel/was-ist-das-fuer-eine-neue-merkwuerdige-allianz