Jan Richter von der BAG Betrieb & Gewerkschaft stimmt beim BGE-Mitgliederentscheid mit Nein. Kritiker und Befürworter haben ihren Platz in der Partei. Eine einseitige Positionierung stellt uns vor eine Zerreißprobe. In den aktuellen gesellschaftlichen Umbrüchen braucht es in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner eine starke und geeinte LINKE. Dafür sind die Kritiker und die Befürworter unverzichtbar. Für Jan hat DIE LINKE zudem bereits überzeugende Konzepte zur sozialen Sicherung. In seinem Beitrag unserer Broschüre erklärt er, warum er die Forderung nach einem BGE für überflüssig hält.
Von Jan Richter
Uns stehen enorme Verteilungskämpfe bevor: Gesellschaftliche Entwicklungen spitzen sich zu und die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst war der Auftakt für die Frage, wer die Kosten der aktuellen Krise bezahlen soll. Wohin die Reise ging, zeichnete sich früh ab: Innenminister und Bürgermeister forderten von den Beschäftigten die Bereitschaft zum Verzicht. Passiv blieben Seehofer & Co. allerdings bei der Einführung einer Vermögensabgabe, die Reiche zur Finanzierung der Krisenkosten heranziehen würde. So eine Haltung nimmt schwache Schultern in die Verantwortung, weil sie starke Schultern entlasten möchte. Die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst war eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung um Verteilungsgerechtigkeit und auch um die Frage, was uns öffentliche Daseinsvorsorge, die Betreuung unserer Kinder, die Pflege in Altenheimen und Krankenhäusern oder die öffentliche Müllabfuhr wert sind. Sie war aber auch ein Testlauf dafür, ob wir als Partei in der Lage sind, die anstehenden Verteilungskämpfe gemeinsam zu führen. Unser Platz ist selbstverständlich an der Seite der streikenden Kolleginnen und Kollegen. Aber DIE LINKE muss mehr noch zum Organisator breit aufgestellter Antikrisen-Bündnisse werden, die uns in die Lage versetzen, die Verteilungskämpfe gemeinsam zu führen. Millionen Menschen sind seit März 2020 in Kurzarbeit und haben Einkommensverluste, Kulturschaffende und viele Selbständige haben überhaupt keine Existenzgrundlage mehr. Wer schon vor Corona auf staatliche Hilfe angewiesen war, hat keinen Cent mehr bekommen. Inmitten dieser Krisenstimmung erlebt eine vermeintlich einfache Lösung auf die bevorstehenden Probleme eine Art Comeback – die des bedingungslosen Grundeinkommens, kurz BGE.
Von Nebelkerzen und Scheinlösungen
Statt uns voll und ganz auf die bevorstehenden Verteilungskämpfe und unsere Rolle darin konzentrieren zu können, zwingt die BAG Grundeinkommen der Partei einen Mitgliederentscheid auf, der nicht nur das Potential hat DIE LINKE zu spalten, sondern obendrein auch dringend benötigte Ressourcen und Kapazitäten in dieser Krisenzeit bindet. Deutlicher kann man seine Gleichgültigkeit gegenüber uns bevorstehenden sozialpolitischen Verwerfungen nicht zum Ausdruck bringen. Das BGE kann allenfalls als Nebelkerze, denn als Lösung der Herausforderungen beschrieben werden, vor denen wir stehen. Die BAG Grundeinkommen nennt ihr BGE-Konzept emanzipatorisch. Dabei ist es am Ende genau das Gegenteil, denn das BGE führt in die totale Abhängigkeit. Man ruft das Recht aus, nichts zu tun und damit weiter abgehängt zu bleiben bzw. es zu werden und ignoriert dabei den grundsätzlichen Wert, den Arbeit für Menschen hat. Wenn im Aufruf von der „Befriedigung der Grundbedürfnisse aller“ die Rede ist, fragt man sich nicht nur bei den Mieten in unseren Großstädten, ob diese mit dem BGE tatsächlich befriedigt werden. Wer definiert die Grundbedürfnisse über Wohnen hinaus? Aldi, Penny oder die Bio Company? Ikea oder eher Bauhaus? Was ist mit Stadt und Land und den jeweils dort vorherrschenden (nicht nur finanziellen) Bedürfnissen?
Es ist auch kein Zufall, dass selbst Arbeitgeber zu den Befürwortern eines BGE gehören. Denn gibt es erst ein steuerfinanziertes BGE, sind sämtliche Sozialleistungen Geschichte. Damit endet die paritätische Finanzierung. Tarifverträge werden überflüssig, Mindestlöhne ebenso. Aus dem Schreckens-Szenario der Unternehmensberatungen, dass uns aufgrund des technologischen Fortschritts die Arbeit ausgeht, bedient sich auch die BAG Grundeinkommen in ihrer Argumentation. Sie spielt exakt auf der gleichen Klaviatur die Melodie der Digitalisierung, mit der auch Arbeitgeber ihre Droh-Szenarien komponieren: Wegen der Digitalisierung geht uns die Arbeit aus und die Wertschöpfung endet. Statt für eine Umverteilung von Arbeit zu werben, spielt man auch mit der Angst vor Arbeitsplatzverlust. So ließen sich mehrmals schon Lohnverzicht und schlechtere Arbeitsbedingungen durchsetzen – warum also nicht auch das BGE?
Linker Plan zur Stärkung des Sozialstaats
Die Agenda 2010 hat mit der Entkoppelung der sozialen Sicherung von der Erwerbsarbeit und der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe damit begonnen, breite Bevölkerungskreise dem Sanktionsapparat Hartz IV und dem Niedriglohnsektor auszuliefern. Dieser Angriff auf den Sozialstaat darf aber nicht dazu führen, dass der Sozialstaatsgedanke von links in Frage gestellt wird und einer Agenda-Politik 2.0 Vorschub geleistet würde. Stattdessen muss die Stärke der Versicherungssysteme – nämlich Solidarität als Kerngedanke – umso deutlicher herausgestellt werden: Die gemeinsame solidarische Absicherung gegen die Risiken des Erwerbslebens wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit. Im Kern geht es darum, für eine gute soziale Sicherung zu sorgen und diese gerecht zu finanzieren. Hierzu sollen u. a. die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme, Zusatzbeiträge und Zuzahlungen und die damit verbundenen Kürzungen beim Niveau der sozialen Sicherung zurückgenommen, prinzipiell alle Einkommensarten zur Finanzierung einbezogen, die Beitragsbemessungsgrenzen erhöht bzw. aufgehoben und die paritätische Beteiligung der Arbeitgeber garantiert werden.
Mit der Politik der Bundesregierung zur sozialen Sicherung umzugehen, ist das eine. Mit eigenen Konzepten aufzuwarten, das andere. DIE LINKE hat überzeugende Alternativen zur Ausgestaltung und Finanzierung der sozialen Sicherung entwickelt – und diese auch prüfen lassen: Unsere Konzepte der solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung, der Arbeitslosenversicherung und des Umbaus der gesetzlichen Rente zu einer Erwerbstätigenversicherung stellen die beitragsfinanzierte Sozialversicherung auf ein breites und damit sicheres finanzielles Fundament.
Wir wollen aber auch die bestehenden Förder- und Fürsorgesysteme überwinden. Unsere steuerfinanzierten Mindestsicherungen sollen grundsätzlich dort wirken, wo die Sozialversicherungssysteme nicht greifen. Sei es, weil die Sozialversicherungssysteme mit zu geringen Mitteln ausgestattet sind, die durch sie gewährleistete soziale Sicherung so gering ausfällt, dass sie durch steuerfinanzierte Leistungen ergänzt oder ersetzt werden muss oder dass von vornherein eine alleinige Steuerfinanzierung vorgesehen ist. Wir wollen Hartz IV durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzen, die ein Leben in Würde ermöglicht. Bei Älteren soll dies durch eine Solidarische Mindestrente abgesichert werden und wir wollen darüber hinaus eine bedarfsdeckende Kindergrundsicherung, die eine Erhöhung des Kindergelds vorsieht, von der alle Familien profitieren (1. Säule), einen Zuschlag für Kinder aus armen Familien (2. Säule), die Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten (3. Säule) und die Anerkennung einmaliger und besonderer Bedarfe (4. Säule).
Beide Systeme gehören zusammen. So wird deutlich, wie die DIE LINKE die beitragsfinanzierten Sozialversicherungen auf der einen und die steuerfinanzierten Mindestsicherungen auf der anderen Seite ausgestalten möchte. Beide zusammen gewährleisten schließlich erst die soziale Sicherung. Statt also darüber nachzudenken, Reichen bedingungslos ein Grundeinkommen zu zahlen ist es vielmehr unsere Aufgabe zu organisieren, dass auch Spitzenverdiener stärker an der Finanzierung der Sozialsysteme beteiligt werden. Für eine solide soziale Sicherung sind darüber hinaus Bedingungen für ein Wirtschaftswachstum zu schaffen, das auf Vollbeschäftigung zielt, ökologisch nachhaltig ist und auf Klimaneutralität setzt. Das sorgt nicht nur dafür, dass viele Menschen Sozialversicherungsbeiträge zahlen, sondern auch Steuern. Gleichzeitig sind entsprechend weniger Menschen auf Hilfe aus der sozialen Sicherung angewiesen.
Der Schlüssel zur sozialen Sicherung ist „Gute Arbeit“
Deshalb fordert DIE LINKE ein Recht auf gute Arbeit. Arbeitsangebote müssen den Mindestkriterien guter Arbeit genügen: existenzsichernde Löhne auf Grundlage geltender Tarifverträge und ein derzeit auf 12 Euro zu erhöhender Mindestlohn, Berücksichtigung der Qualifikation, Wahlmöglichkeiten, gesundheitlich vertretbare und mitbestimmte Arbeitsbedingungen, geregelte Arbeitszeit, bezahlter Urlaub, volle Arbeitnehmerrechte und soziale Sicherung, insbesondere Sozialversicherung. Nicht als allgemeine Deklaration, sondern als individuell einklagbarer Anspruch, den der Sozialstaat gewährleisten muss. Zusammen mit der Forderung nach einer bedarfsdeckenden sanktionsfreien Mindestsicherung fordert DIE LINKE damit als einzige Partei eine klare und umfassende Alternative zum unwürdigen Hartz-IV-Regime und schärft damit ihr Profil als soziale Alternative.
Unsere Aufgabe besteht darin, zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse beizutragen, um eine solidarische Umgestaltung unserer Gesellschaft und eine linke demokratische, soziale, ökologische und friedliche Politik durchzusetzen. Für andere Macht- und Eigentumsverhältnisse braucht es die Solidarität aller Lohnabhängigen: Kernbelegschaften, Arbeitslose und prekär Beschäftigte. Deren gemeinsame Interessen gilt es in allen Auseinandersetzungen zu betonen. Dafür braucht es gewerkschaftliche und politische Organisationen, in denen diese Interessen formuliert und gemeinsam Kämpfe zu ihrer Durchsetzung geführt werden. Es ist Aufgabe der Partei DIE LINKE, diesen Prozess bewusst und aktiv zu fördern.
Die große Ungerechtigkeit des BGE liegt in seiner Bedingungslosigkeit, alle Menschen gleich zu behandeln – unabhängig von der persönlichen ökonomischen Situation. Diese Gleichmacherei hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Eine bestimmte Summe X, die allen bedingungslos gezahlt wird, bedeutet in der Konsequenz, dass meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen bei H&M von ihrer Hände Arbeit und Steuern das BGE für ihre Filialleitungen, Regionalmanager und den Deutschlandchef mitfinanzieren. Was daran gerecht sein soll, kann uns sicher Christian Lindner beantworten. Von links fällt mir da keine Antwort drauf ein.
Von Jan Richter, Bundessprecher der BAG Betrieb & Gewerkschaft