Sie jammern wieder: Um darüber hinwegzutäuschen, dass die Attraktivität ihres Geschäftsmodells »Niedriglohn« nicht mehr zieht, klagen Arbeitgeber öffentlichkeitswirksam über Fachkräftemangel – u.a. in der Leiharbeit, dem Sicherheitsgewerbe oder der Logistik. Der Bundesregierung gefällt die Melodie und so stimmt sie in den Chor mit ein. Wer aber über Fachkräftemangel klagt und gleichzeitig Arbeitslose, Unterbeschäftigte und prekär Beschäftigte verschweigt, hat entweder keine Ahnung vom Arbeitsmarkt (offene Stellen vs. Arbeitsangebot) oder führt absichtlich eine falsche Debatte.
Selbst die Bundesagentur für Arbeit (BA), wahrlich kein Hort linker Propaganda, stellt nüchtern fest, dass unattraktive Arbeitsbedingungen ursächlich für Fachkräftemangel sein können. Es hakt ganz offensichtlich an der Qualität der Arbeit, wenn man trotz Millionen Arbeitslosen niemanden findet. Miese Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen sind auf Dauer nicht attraktiv. Aber anstatt die Attraktivität der eigenen Jobs zu erhöhen, fordern Arbeitgeber lieber die Zuwanderung von Menschen, die keine andere Wahl haben, als hier unter prekären Bedingungen zu malochen. Die GroKo gießt die Wunschzettel der Arbeitgeber in entsprechende Gesetze – die alles andere als willkommensfreundlich sind. Willkommen sind Leute, für die Unternehmen gerade Verwendung haben. Alle anderen nicht! Und damit auch ja kein Zweifel aufkommt, dass lediglich die Arbeitskraft willkommen ist, nicht aber der dazugehörende Mensch oder gar seine Familie, werden derzeit die Details verhandelt: zeitliche Begrenzung, bestimmten Branchen und Obergrenzen.
Der Gesetzgeber hat die Aufgabe, den Arbeitsmarkt besser zu regulieren, um Konkurrenz und Unterbietung durch Fachkräfteeinwanderung zu verhindern. Zentral dabei ist es, die Tarifbindung zu stärken. Denn Tarifverträge verhindern, dass die Konkurrenz zwischen Betrieben zu Lasten der Löhne und Arbeitsbedingungen ausgetragen wird. Darüber hinaus sind alle Formen prekärer Beschäftigung einzudämmen, um Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt zu beenden. Und Arbeitgeber müssen investieren: In Um-, Aus- und Weiterbildung. Wer das allein der BA überlässt, entlarvt sich am Ende selbst. Politik und Arbeitgeber reden zwar von Fachkräfteeinwanderung, wollen am Ende aber nur, dass ihr Geschäftsmodell »Lohndumping« erhalten bleibt! Prekäre Arbeit ist das Problem, nicht die unwillige Arbeitskraft, die sich dafür nicht anstellen lassen will.
Auf dem Arbeitsmarkt sind wir noch weit von Vollbeschäftigung entfernt. Mehr Beschäftigung braucht bei Bedarf und früh zielgerichtete konjunkturpolitische Schritte, generell eine Umverteilung der vorhandenen Arbeit, viel höhere öffentliche wie private Investitionen und den Ausbau öffentlicher und öffentlich geförderter Beschäftigung. Die Union bastelt derweil an einem „Haut-Ab-Gesetz“ und unterschreitet dabei erneut die Ekelgrenze. Weitere Verschärfungen in der Asyl- und Abschiebepolitik drohen, weil sie Fragen der Arbeitsmigration mit Asyl verknüpfen – und damit absichtlich die Leute täuscht. Aber es stehen Wahlen an und die CDU setzt mit ihrer „Law-and-Order-Politik“ ohne Not auf irrationale Ängste – so leistet man Rassismus in der Gesellschaft Vorschub. Dieser ist nur schwer einzufangen und nutzt am Ende den Doofköppen von der AfD.
Fazit: Es ist zu begrüßen, dass der Arbeitsmarkt für Menschen aus Ländern außerhalb der EU geöffnet wird. Diese Öffnung ist richtig und wichtig, muss aber nach dem Grundsatz »Gute Arbeit für alle« erfolgen. Die Bundesregierung will das Arbeitskräfteangebot durch Zuwanderung steigern, aber gleichzeitig die Deregulierungen auf dem Arbeitsmarkt nicht korrigieren. So bleiben Beschäftigte miesen Arbeitsbedingungen zu schlechter Bezahlung ausgesetzt – egal welcher Herkunft. Eine Einwanderungspolitik, die den Niedriglohnsektor mit niedrig entlohntem Personal versorgt, ist ökonomisch schädlich und führt zu verschärfter Konkurrenz am Arbeitsmarkt. Gleichzeitig gefährdet sie die gesellschaftliche Akzeptanz einer tatsächlich wünschenswerten Einwanderung von Fachkräften.
von Jan Richter, Bundessprecher der AG Betrieb & Gewerkschaft und aktiv in der LAG Berlin